Mündliche Überlieferungen

Hermes reicht seinem Sohn Dionysos die Frucht der Weisheit.
Hermes reicht seinem Sohn Dionysos die Frucht der Weisheit.

Bei den mündlichen Überlieferungen, um die es hier geht, handelt es sich größtenteils um Informationen zur Landesgeschichte, in meinem Fall des mittelalterlichen Herzogtums Sachsen. Es gibt daneben Texte zu fast allen Bereichen des täglichen Lebens, der Wissenschaft, Kultur, des Handwerks und eben auch Texte religiösen Inhalts. Es sind Texte, die von sich beanspruchen, sachlich richtig und der wissenschaftlichen Forschung zugänglich zu sein.

 

Als letzter Historiker arbeitete Adam von Bremen vor etwa 1000 Jahren mit ausdrücklich als solche genannten mündlichen Überlieferungen. Er schreibt (Hamburgische Kirchengeschichte II 43):

 „Der Dänenkönig (Sven Estridson), dessen man noch lange gedenken soll, und der die gesamte Überlieferung der Barbaren kannte, als wenn sie aufgeschreiben wäre, hat mir erzählt…“

 

Nach seinem Bericht sind mündlich überlieferte Texte so zuverlässig wie handschriftlich überlieferte Texte. Noch an weiteren Stellen rühmt er die Zuverlässigkeit des Dänenkönigs:

 I 48: 'Aus dem Mund des zuverlässigen Dänenkönigs Sven habe ich dagegen erfahren, als er auf meine Fragen seine Vorgänger aufzählte: „Nach der Niederlage der Normannen herrschte meines Wissens Helgi, den seine Leute wegen seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit liebten. Auf ihn folgte Olaf, der aus Schweden kam und das Dänenreich mit Gewalt an sich brachte; er hatte zahlreiche Söhne, von denen nach dem Tod des Vaters Knut und Kurt das Reich bekamen.'“

 

Diese Stelle gibt einen Einblick in die Arbeitsweise mündlicher Überlieferung. Die Texte sind knapp, sachlich und auf die wichtigsten Informationen beschränkt. Auch Adam selbst kannte die Technik mündlicher Überlieferung, wie man aus II 12 entnimmt, wo er sich durch das Wort „wir“ in den Kreis der Geschichtskundigen einschließt.

 „Wie wir gehört und erfahren und unsere Väter uns überliefert haben, brachte der Erzbischof bei seiner Rückkehr in die Heimat in seinem Gefolge den geweihten, aber damals von Otto abgesetzten Papst Benedikt mit.“

 

 Gleichzeitig untermauert er die Zulässigkeit solcher Überlieferungstechniken durch ein Bibelzitat. Der erste Teil des Satzes entstammt Psalm 77,3.

 

 Aufgrund der Diskriminierungen, die Träger mündlicher Überlieferungen seit etwa 1200 Jahren in Deutschland erleiden, sind die Texte in einem teilweise erbärmlichen Zustand. Die Träger mündlicher Überlieferungen stehen daher vor der Aufgabe, ihre Texte zu sichten, echte Textteile von Unwahrem zu trennen, zerstörte Texte zu rekonstruieren und die Texte in Buchform zu übertragen. Dazu brauchen sie Zeit, Geld sowie Kenntnisse in Latein und anderen Fremdsprachen. Vor allem aber wäre eine fachliche Betreuung durch Historiker wünschenswert, die den Texten und ihren Trägern vorurteilsfrei gegenüberstehen und bereit sind, Ansichten, die der gängigen Lehrmeinung widersprechen, gelten zu lassen.

 

Die mündlichen Berichte im Sinne von "Zeitzeugen berichten von ihren Erlebnissen", die als "Oral Tradition" Gegenstand der Forschung einiger historischer Fakultäten sind, gehören nicht hierher. Es fehlt die Formatierung, die aus einem Erlebnisbericht einen tradierbaren Text macht, der auch nach mehreren Jahrhunderten von seinen Besitzern noch gepflegt wird. Keinesfalls zu den mündlichen Überlieferungen gehören Märchen, Wandersagen und dergleichen. Es wird wohl kaum jemand für wertlose Geschichten irgendwelche Mühen oder Diskriminierungen auf sich nehmen. Ebenso distanzieren wir uns von Schamanenspuk, der gern mit Heidentum in Verbindung gebracht wird. Wir würden uns dadurch unglaubwürdig machen.

 

Wir lehnen jede Form von Gewalt gegenüber unseren Mitmenschen ab, sie sei religiös motiviert oder nicht. Das war auch schon bei unseren Vorfahren so. Helmold von Bosau schreibt in seiner Slawenchronik, Kapitel 84, über die damals noch heidnischen Einwohner von Wagrien, das ist die Gegend um Lübeck:

"Die Slawen haben solche Ehrfurcht vor ihren Heiligtümern, daß sie den Tempelbezirk nicht einmal von Feindesblut beflecken lassen."

 

Diese Einstellung schließt sämtliche Menschen- und Tieropfer aus. Die Berichte der mittelalterlichen Schriftsteller von grausamen und rücksichtslosen Sitten unter den nicht-katholischen Völkerschaften Mitteleuropas sind damit reine Ideologie der Kirche. Entsprechende Vorbehalte gegenüber Personen mit mündlichen Überlieferungen, die ich vor kurzem selbst noch erlebt habe, entbehren jeder sachlichen Grundlage. Sie sollten insbesondere von Historikern nicht länger als historische Wahrheit verbreitet werden.